Mietwagen oder Nutzungsausfallentschädigung?
Ein Fachbeitrag der Kanzlei Edmund M. Jung, Freiburg.
Verfasser: Rechtsanwalt Klaus Eric Föhr, Vorstandsmitglied der Rechtsanwaltskammer Freiburg
Zu den vielfältigen Hürden bei der Unfallregulierung kommt auf den geschädigten Fahrzeugbesitzer auch die Frage zu:
Nehme ich einen Mietwagen oder stelle ich mich mit der Geltendmachung einer Nutzungesausfallentschädigung besser ?
Und da sich diese Frage oft direkt nach dem Unfall stellt, um die dringend erforderliche Mobilität wieder herzustellen, und oft auch vor der Inanspruchnahme eines Verkehrsanwaltes, will ich diesem Problemkreis die ihm zukommende Aufmerksamkeit widmen.
Während meiner langjährigen Tätigkeit als Fachanwalt für Verkehrsrecht habe ich nicht selten die Erfahrung machen müssen, dass ein Mandant bereits vor der Mandatserteilung die Entscheidung „nehme ich einen Mietwagen“ nicht selten zu seinem Nachteil getroffen hat, und es großen Anstrengungen bedurfte, das Mietverhältnis vorzeitig zu beenden bzw. neu zu gestalten.
Der seit langem in der Rechtsprechung heiß diskutierte Fragenkomplex „Mietwagen“ ist zwar im Grundsatz außer Streit. Für den Ausfallzeitraum des unfallbeschädigten Fahrzeugs kann ein Mietwagen genommen werden. Jedoch muss für jeden Einzelfall geprüft werden, ob sich nicht schon die Anmietung selbst verbietet oder sich auch Schwierigkeiten zum Umfang der zu erstattenden Mietwagenkosten ergeben können.
Der Geschädigte darf grundsätzlich ein Fahrzeug gleichen Typs anmieten. Jedoch sollte man sich tunlichst sehr überlegen, ob man einen Mietwagen in Anspruch nimmt, da Sie als Geschädigter die Mietwagenkosten selbst bezahlen müssen – unabhängig davon, ob und wann eine Schadenregulierung seitens der gegnerischen Haftpflichtversicherung erfolgt – und weil ein Abzug von der Mietwagenrechnung in Höhe von 10% zu erwarten ist, selbst wenn ein klassenniedriges Fahrzeug angemietet wird..
Der Geschädigte muss zuallererst darlegen, dass er durch den Ausfall seines Kfz an einer tatsächlich beabsichtigten Nutzung gehindert, also wirtschaftlich geschädigt ist.
Nachstehend will ich daher kurz die (wichtigsten) Gesichtspunkte aufführen, die nach der bestehenden Rechtsprechung den Nutzungswillen oder die Nutzungsmöglichkeit fraglich erscheinen lassen können. Es soll Ihnen aufgezeigt werden, wann die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs tunlichst unterlassen werden sollte bzw. wie Vorsorge getroffen werden kann, die erforderlichen Nachweise auch führen zu können.
1. Krankheit
Ist der Geschädigte durch Krankheit verhindert, ein Kfz zu führen, egal ob unfallbedingt oder ob unfallunabhängige Ursachen vorliegen, so fehlt es an der Nutzungsmöglichkeit (BGH Urteil vom 15.04.1966 – VI ZR 271/64).
2. Notreparatur
Kann aus verschiedenen Gründen mit der Reparatur des Unfallfahrzeugs erst später begonnen werden, muss unter der Voraussetzung, dass die Verkehrssicherheit des Unfallfahrzeugs gesichert ist und die voraussichtlich anfallenden Mietwagenkosten deutlich geringer sind, anstelle der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs eine Notreparatur durchgeführt werden.
3. Interimsfahrzeug
Ist klar, dass beispielsweise wegen fehlender Ersatzteile mit der Reparatur des Unfallfahrzeugs nicht begonnen werden kann und erhebliche Mietwagenkosten anzufallen drohen, ist der Geschädigte verpflichtet, vorübergehend ein Ersatzfahrzeug anzuschaffen. Hier hat die Rechtsprechung der Obergerichte die Grenze bei einer voraussichtlichen Mietdauer von mehr als drei Monaten gezogen (OLG Oldenburg Urteil vom 04.11.1981 – 3 U 72/81).
4. Geringe Fahrtstrecke
Wenn der Geschädigte nur eine geringe Fahrtstrecke zurücklegt, so kann der Geschädigte selbst seinen Nutzungswillen widerlegen und es kann auf einen fehlenden Nutzungswillen rückgeschlossen werden (OLG Frankfurt, Urteil vom 06.11.1991 – 17 U185/89).
Faustregel: mindestens 20 km pro Tag!
Ausnahmen sind zum Beispiel: Der Geschädigte ist wegen Kleinkinder in seiner Familie oder aus beruflichen Gründen ständig auf die Verfügbarkeit eines Kfz angewiesen.
5. Zweitwagen
Ist in der Familie ein Zweitwagen vorhanden, der nur gelegentlich benutzt wird, muss der Geschädigte auf ein solches Fahrzeug zurückgreifen (BGH Urteil vom 14.10.1975 – VI ZR 255/74).
Was ist bei der Auswahl des Mietwagenunternehmens zu beachten?
Nach einem unverschuldeten Unfall wird dem Geschädigten ein Mietwagen oft geradezu aufgedrängt, da die Reparaturwerkstätten, die oft mit Mietwagenunternehmen zusammenarbeiten, den Geschädigten selten darauf hinweisen, dass er statt eines Mietwagens derzeit pro Tag zwischen € 23,00 und € 175,00 Nutzungsausfallentschädigung beanspruchen kann.
Sehr oft bieten Mietwagenunternehmen Unfallgeschädigten, die ein Fahrzeug anmieten wollen, einen sog. Unfallersatztarif an, der in der Regel erheblich über dem sog. Normal- oder Pauschaltarif liegt.
Die derzeitige BGH-Rechtsprechung zu der Frage, wann Mietwagenkosten zu erstatten sind, die zu einem Unfallersatztarif angemietet wurden, lautet:
„Der Geschädigte kann die den „Normaltarif“ übersteigenden Mietwagenkosten nur dann ersetzt verlangen, wenn er darlegt und ggf. beweist, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstreng- ungen auf dem in seiner Lage zeitlichen und örtlich relevanten Markt – zumindest auf Nachfrage – kein wesentlich günstigerer „Normaltarif“ zugänglich war“ (BGH, Urteil vom 11.03.2008 – VI ZR 164/07).
Der Geschädigte muss sich demnach erkundigen, ob und wieweit günstigere Normaltarife angeboten werden. Andererseits ist ein Mietwagenunternehmer verpflichtet, den Mieter eines Unfallersatzfahrzeuges darauf hinzuweisen, dass es Regulierungsschwierigkeiten mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer bei der Abrechnung von Mietwagenkosten geben kann, die nach dem Unfallersatztarif berechnet werden ( BGH, DAR 2007, 702).
Da dieser Hinweis höchst selten der Fall sein dürfte, hier mein Tipp: Nehmen Sie bei der Anmietung eines Mietwagens immer eine Person Ihres Vertrauens mit.
Nutzungsausfallentschädigung
Ein Geschädigter, der während des unfallbedingten Ausfalls auf die Inanspruchnahme eines Mietwagens verzichtet, kann wegen der entgangenen Gebrauchsvorteile Geldentschädigung verlangen. Die Einzelheiten hierzu wird Ihnen Ihr Rechtsanwalt ausführlich erörtern.
Hierzu einige wichtige Entscheidungen:
(1) Bei Abrechnung auf Neuwagenbasis kann Nutzungsausfallentschädigung bis zur Auslieferung des Neuwagens verlangt werden, selbst wenn die Auslieferung 66 Tage dauert (OLG Koblenz, 1 U 1265/10, r+s 2014, 46).
(2) Ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung besteht nur dann, wenn der Geschädigte substantiiert darlegt und beweist, dass er bei bestehendem Nutzungswillen sein Fahrzeug reparaturbedingt nicht nutzen konnte (OLG München 10 U 859/13).
(3) Nutzungsentschädigung kann nur dann verlangt werden, wenn auch der Nachweis erbracht wird, dass das Fahrzeug repariert worden ist, da sonst eine unzulässige Vermischung von konkreter und abstrakter Schadenberechnung vorgenommen würde (OLG Zweibrücken 4 U 145/13, NJW – RR 2015,279).
(4) Die Kosten der Bescheinigung des Sachverständigen über die durchgeführte Reparatur sind nicht erstattungsfähig ( AG Ibbenbüren, NJW-RR 2015, 1439).
Schadenminderungspflicht
Bei der Geltendmachung von Nutzungsentschädigung gelten die gleichen Grundsätze wie für die Mietwagenkosten. Der Geschädigte muss
- für eine zügige Reparatur sorgen,
- gegebenenfalls eine Notreparatur oder ein Interimsfahrzeug in Anspruch nehmen oder
- seine Vollkaskoversicherung in Anspruch nehmen, um eine lange Ausfallzeit zu verhindern.
Fazit:
Wegen des hohen Kostenrisikos im Zusammenhang mit der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs ist höchste Vorsicht geboten.
Da Mietwagenunternehmen häufig einen sog. Unfallersatztarif anbieten, den der gegnerische Haftpflichtversicherer nicht bzw. nur teilweise ersetzt, sollte – möglichst in Begleitung einer Vertrauensperson – bei der Anmietung auf einem sog. Normaltarif bestanden werden.
Außerdem sollte überlegt werden, ob man zwingend einen Mietwagen benötigt, oder ob man mit einer Nutzungsausfallentschädigung zwischen derzeit täglich 23 € und € 175 nicht „besser fährt“.