2020 edmund jung icon quadrat

Einsichtsrechte in Behördenakten

2020 edmund jung icon quadrat

Einsichtsrechte in Behördenakten

edmund_jung_rechtsanwalt_laermschutzrecht

Beantragung als Beteiligte

Häufig können gegenüber Bauvorhaben Bedenken bestehen. Diese Bedenken basieren auf möglichen rechtlichen oder tatsächlichen Auswirkungen des Projekts. Gem. § 55 Abs. 1 Landesbauordnung B-W (LBO) sind die Eigentümer angrenzender Grundstücke innerhalb von fünf Werktagen nach Eingang der vollständigen Bauunterlagen durch die zuständige Gemeinde von dem Bauvorhaben zu unterrichten. Einwendungen gegen Vorhaben können gem. § 55 Abs. 2 LBO innerhalb von vier Wochen vorgebracht werden. Um dies effektiv tun zu können, kann es allerdings notwendig sein, die zugrunde liegende Bauakte einzusehen.
Das Recht auf Akteneinsicht im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens wird durch § 29 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) geregelt. Dieser gewährt den Beteiligten ein Recht darauf, Einsicht in die Akten der Behörde zu nehmen, die die jeweilige Angelegenheit betreffen. Dies ermöglicht es, den Kenntnisstand der Behörde und ihre Entscheidungsgründe nachzuvollziehen. Mit Hilfe dieses Wissens ist es dem Beteiligten möglich, auf das Bauvorhaben zu reagieren und die eigenen Interessen zu wahren.
Die Überschrift des § 55 LBO spricht von einer „Benachrichtigung der Nachbarn und Beteiligung der Öffentlichkeit“, was zunächst auf eine Beteiligung von Nachbarn hindeuten könnte. Zudem wird im Fall nicht fristgerechter Einwendungen eine materielle Präklusion wirksam, was bedeutet, dass spätere Einwände rechtlich keine Berücksichtigung finden können, § 55 Abs. 2 LBO. Diese einschneidende Rechtsfolge wäre ein weiteres Argument für eine Beteiligung.
Der Gesetzeswortlaut spricht jedoch von einer „Benachrichtigung“ der Nachbarn, was mithin auf eine Anhörung gem. § 13 Abs. 3 VwVfG hindeutet. Nach dieser Vorschrift sind Anhörungsberechtigte nicht automatisch auch Verfahrensbeteiligte.
Der Begriff des „Beteiligten“ wird in § 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 Landesverwaltungsverfahrensgesetz B-W (LVwVfG) legal definiert. Danach zählen zu den Beteiligten Antragsteller und Antragsgegner, diejenigen, an die ein Verwaltungsakt gerichtet ist oder gerichtet werden soll und solche Personen, mit denen die Behörde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag abschließen will oder bereits abgeschlossen hat. „Angrenzer“ fallen in keine dieser Kategorien. Allerdings könnte § 13 Abs. 1 Nr. 4 LVwVfG i.V.m. § 55 LBO Anwendung finden. Die Benachrichtigung der Angrenzer gem. § 55 Abs. 1 LBO könnte als eine Hinzuziehung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1 LVwVfG interpretiert werden.
Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG hat die Behörde die Möglichkeit, von Amts wegen oder auf Antrag diejenigen, deren rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden, als Beteiligte hinzuzuziehen.
Zu der Frage, ob Nachbarn nach § 29 Abs. 1 VwVfG Einsicht in die vollständige Bauakte zusteht, vgl. VG Sigmaringen, Urt. v. 31.01.2017 2 K 364/17, insb. Rn. 22.

Beantragung als Dritte

behördliches Ermessen

Falls ein Nachbar nicht als Beteiligter i.S.d. § 13 Abs. 1 VwVfG des Verfahrens gilt, oder der zeitliche Anwendungsbereich des § 29 VwVfG abgelaufen ist, bleibt die Möglichkeit, Akteneinsicht als Dritter zu beantragen. In diesem Fall steht die Gewährung der Akteneinsicht im Ermessen der Behörde.

Voraussetzung hierfür ist, dass der Nachbar ein berechtigtes Interesse geltend machen kann. Ein solches Interesse besteht, wenn Antragsteller durch die Einsichtnahme ihre Rechte durchsetzen möchten und ein eigenes, gewichtiges, nur durch Akteneinsicht zu befriedigendes Informationsbedürfnis haben. Liegt also ein berechtigtes Interesse vor, besteht ein Anspruch auf die fehlerfreie Ausübung des behördlichen Ermessens und entsprechende Begründung der Entscheidung (vgl. BVerWG, Urt. v. 23.08.1968, IV C 235.65; VG Sigmaringen, Urt. v. 31.01.2017 2 K 364/17, insb. Rn.24; Ritter in Ory/Weth, jurisPK-ERV § 29 VwVfG, Rn. 22).

Bei der behördlichen Entscheidung zur Gewährung von Akteneinsicht können Ermessensfehler auftreten. In einem solchen Fall ist die Entscheidung als rechtswidrig anzusehen. Gegen eine derartige Entscheidung kann der Betroffene gem. § 144 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die entsprechenden Rechtsmittel einlegen. Selbst wenn die Rechtswidrigkeit der Entscheidung festgestellt wird, bleibt es jedoch weiterhin im Ermessen der Behörde, die Art und den Umfang der Akteneinsicht zu bestimmen. Die Behörde ist nicht verpflichtet, dem Antragsteller die gesamte Akte zur Verfügung zu stellen, sondern kann lediglich Teile freigeben, welche für das berechtigte Interesse Relevanz haben (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 22.07.1988, 20 A 1063/87).

Landestransparenzgesetz (Rheinland-Pfalz)

Das Landestransparenzgesetz (Rheinland-Pfalz) ersetzt seit dem 01. Januar 2016 das zuvor geltende Informationsfreiheitsgesetz und das Umweltinformationsgesetz. Mit der Einführung des Landestransparenzgesetzes wurden beide Regelungen zusammengeführt, um den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen – insbesondere Umweltinformationen – gem. der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 zu gewährleisten (vgl. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32003L0004).

Das Landestransparenzgesetz stärkt die Informationsfreiheit, indem es den Bürger*innen ermöglicht, auf Antrag Zugang zu Informationen zu erhalten und die Landesbehörden verpflichtet, relevante Informationen proaktiv über eine öffentlich zugängliche Internetplattform (www.tpp.rlp.de) zur Verfügung zu stellen. Der Gedanke dahinter besteht darin, dass Transparenz und Bürgernähe wesentliche Grundsätze einer modernen Verwaltung sind. Das Recht auf Informationsfreiheit ist ein unbeschränktes und allgemeines Recht auf Zugang zu den Informationen, die von öffentlichen Stellen bereitgehalten werden. Dies soll es den Bürger*innen erleichtern, behördliche Entscheidungen nachzuvollziehen und die zugrunde liegenden Informationen zu erhalten.

Das Landestransparenzgesetz gewährt dabei Zugang zu „amtlichen Informationen“, worunter sämtliche Aufzeichnungen fallen, die für behördliche Zwecke erstellt wurden. Dies schließt verschiedene Formen des gespeicherten Wissens ein, wie Dokumente, Tabellen, Diagramme, Bilder, Pläne, Karten sowie audiovisuelle Aufzeichnungen (z.B. CD/DVD). Bestimmte Ausnahmen schränken dieses Informationszugangsrecht jedoch ein, wie etwa bei Entwürfen von Entscheidungen oder vorbereitende Unterlagen, deren vorzeitige Veröffentlichung die Entscheidungsfindung oder bevorstehende Maßnahmen beeinträchtigen könnte.

Der Anspruch auf Informationszugang gilt ohne Einschränkung für alle Menschen, unabhängig von Alter, Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz. Auch Unternehmen, nicht rechtsfähige Vereinigungen von Bürger*innen sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts können dieses Recht in Anspruch nehmen, sofern sie Träger von Grundrechten sind.

Gleichzeitig sieht das Landestransparenzgesetz bestimmte Schutzvorschriften vor, die einen Informationszugang einschränken können. Dazu zählen der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, geistigem Eigentum, öffentlichem Interesse, behördlichen Belangen, Forschung und Lehre sowie der Schutz personenbezogener Daten. Ist eine Information von diesen Schutzvorschriften betroffen, muss die Behörde ein Drittbeteiligungsverfahren einleiten, um dem betroffenen Dritten die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Zudem erfolgt eine Abwägung zwischen dem individuellen Informationsinteresse, dem öffentlichen Informationsinteresse und den geschützten Belangen. Dies kann im Ergebnis dazu führen, dass die gewünschten Informationen nur teilweise oder gar nicht herausgegeben werden (vgl. https://www.datenschutz.rlp.de/fileadmin/datenschutz/Dokumente/Publikationen/Broschuere_Landestransparenzgesetz_2016.pdf; https://datenschutz87.typo3web03.rlp.de/de/themenfelder-themen/landestransparenzgesetz/ ).

In anderen Bundesländern existieren ähnliche Vorschriften in verschiedener Ausgestaltung, wie etwa das „Hamburgische Transparenzgesetz“ (HmbTG), das „Informationszugangsgesetz Schleswig-Hollstein“ (IZG-SH) oder das „Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Bremen“ (BremIFG). Bayern und Niedersachsen haben hingegen keine entsprechenden Regelungen für ein Bürgerrecht auf Akteneinsicht geschaffen (vgl. https://transparenzranking.de/).

Ein Antrag auf Zugang zu Informationen ist an die Behörde zu stellen, die über die betreffende Information verfügt. Dies können Ministerien, Hochschulen, Schulen, kommunale Verwaltungen oder andere öffentliche Stellen sein. Verfügt die angefragte Behörde nicht über die gewünschte Information, wird der Antrag an die zuständige Stelle weitergeleitet (vgl. https://www.datenschutz.rlp.de/fileadmin/datenschutz/Dokumente/Publikationen/Broschuere_Landestransparenzgesetz_2016.pdf).

Modalitäten der Akteneinsicht

Nach der Gewährung des Aktenzugangs stellt sich die Frage nach den Rahmenbedingungen der Einsichtnahme. Üblicherweise erfolgt die Akteneinsicht in den Räumlichkeiten der Behörde, die die Akten führt. Dies dient der Effizienz des Verfahrens. Während der Einsichtnahme wird der Vorgang durch die zuständige Behörde beaufsichtigt. Dabei muss die Einsichtnahme für den Antragsteller sowohl zeitlich als auch räumlich zumutbar gestaltet sein.

Gemäß § 29 Abs. 3 Satz 2 VwVfG kann auch eine Übersendung der Akten angefragt werden. Ob diesem Antrag stattgegeben wird, liegt jedoch im Ermessen der Behörde. Eine Übersendung kommt in der Regel dann in Betracht gezogen, wenn sie die Arbeitsabläufe der Behörde nicht beeinträchtigt und keine sonstigen Gründe dagegensprechen (vgl. Pautsch in Pautsch/ Hofmann §29 VwVfG Rn.31-35).

An Anwälte kann dies auch digital per beA oder per E-Mail geschehen.

Fazit

Das Recht auf Einsichtnahme in Behördenakten ist für Nachbarn von Bauvorhaben von besonderer Bedeutung, um ihre Bedenken und rechtlichen Interessen wirksam geltend zu machen. Der § 29 VwVfG gewährt Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens grundsätzlich ein Akteneinsichtsrecht, welches durch das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör gestützt wird, Art. 103 Abs. 1, 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 Satz 1 GG. Ob ein Nachbar als Beteiligter im Sinne dieser Norm angesehen werden kann, bleibt jedoch umstritten. Während die „Nachbarbeteiligung“ gemäß § 55 LBO zunächst darauf hindeutet, dass Nachbarn als Verfahrensbeteiligte einzuordnen sind, wird dies durch die bloße „Benachrichtigung“ relativiert. Die Rechtsprechung erkennt in diesem Zusammenhang eine unsichere Rechtslage an, insbesondere im Hinblick auf den Umfang der Beteiligungsrechte von Nachbarn.

Sollte ein Nachbar nicht als Beteiligter qualifiziert werden, besteht dennoch die Möglichkeit, Akteneinsicht als Dritter zu beantragen. In diesem Fall steht die Entscheidung über die Gewährung der Einsicht im Ermessen der Behörde, wobei ein berechtigtes Interesse bestehen muss. Dieses Interesse muss über bloße Neugier hinausgehen und ein substantiiertes, rechtliches Bedürfnis nach Information vorweisen.

Zudem bieten verschiedene Landesgesetze, unter anderem das Landestransparenzgesetz Rheinland-Pfalz, eine weitere Grundlage, um als Bürger*innen Zugang zu amtlichen Informationen zu erlangen. Allerdings bestehen auch hier Einschränkungen, die insbesondere den Schutz personenbezogener Daten, Betriebsgeheimnisse und andere schützenswerte Interessen betreffen.

Insgesamt zeigt sich, dass Nachbarn von Bauvorhaben gewisse Rechte auf Information und Einsicht in die relevanten Akten haben, diese Rechte jedoch teilweise von der konkreten Verfahrensstellung und dem Ermessen der Behörde abhängen.