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Nutzungsentschädigung

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Nutzungsentschädigung

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BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19

  • Einer arglistigen Täuschung des Kunden steht es gleich, wenn ein Hersteller das Kraftfahrtbundesamt täuscht, um sich Typengenehmigungen zu erschleichen.
  • Ein Vermögensschaden kann bereits im Abschluss eines Vertrages liegen, sofern der versprochene Vertragsgegenstand für die gewollten Zwecke tatsächlich unbrauchbar ist.

1. Verfahrensgang

Vorgehend
LG Bad Kreuznach, Urteil vom 05.10.2018, Az.: 2 O 250/17 und
OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019, Az.: 5 U 1318/18.

2. Tatbestand

Der Kläger begehrte zunächst vor dem LG Bad Kreuznach die Rückabwicklung eines mit der Beklagten am 10.01.2014 geschlossenen Kaufvertrages über einen gebrauchten VW Sharan der Schadstoffklasse 5. Hierbei verlangte er Schadenersatz für die damals von ihm gezahlten 31.490,00 € brutto Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs an die Beklagte.
Hintergrund war, dass die Beklagte in das durch sie vertriebene Fahrzeug eine Schadsoftware eingebaut hatte, welche erkannte, ob eine Prüfung des Stickoxidwertes durchgeführt wird. Sofern dies der Fall war, sorgte die Software dafür, dass weniger Stickoxide ausgestoßen wurden. Im normalen Betrieb hingegen war der Stickoxidausstoß höher. Nur aufgrund des Verwendens der Abgassoftware gelang es der Beklagten, das Fahrzeug mit der Schadstoffklasse 5 auszeichnen zu lassen.
Ende des Jahres 2015 gab die Beklagte öffentlich zu, eine illegale Erkennungssoftware verwendet zu haben. Das Kraftfahrtbundesamt forderte die Beklagte in der Folge auf, die Software zu beseitigen oder die Einhaltung des Schadstoffausstoßes anderweitig zu gewährleisten. Hierauf entwickelte die Beklagte ein Softwareupdate, welches der Kläger im Februar 2017 installierte.

Nachdem das LG Bad Kreuznach die Klage abgewiesen hatte, verfolgte der Kläger seinen Anspruch vor dem OLG Koblenz weiter. Dieses sprach dem Kläger im Ergebnis einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB in Höhe von 25.616,10 € zu. Dies entsprach dem geforderten Betrag abzüglich der aus dem Fahrzeug gezogenen Nutzungen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Beklagte die staatlichen Stellen sowie Wettbewerber und Kunden durch die verwendete Software täuschte. Dies war darüber hinaus auch sittenwidrig, da die Beklagte die Täuschung systematisch und über Jahre hinweg betrieb. Hierbei wurde die Arglosigkeit der Kunden ausgenutzt und sich das Vertrauen der Verbraucher in das Kraftfahrtbundesamt zu Nutze gemacht. Insbesondere
setzte die Beklagte ihr Gewinnbestreben über die Umwelt und über das Umweltbewusstsein des Kunden. Zudem wurde durch den Einsatz der Software die Gefahr einer Betriebseinschränkung bzw. -untersagung der betroffenen Fahrzeuge verursacht. Der Schaden des Klägers bestehe daher schon im Erwerb des mit der Steuerungssoftware ausgerüsteten Fahrzeugs.
Gegen dieses Urteil wandte sich sowohl der Kläger, um einen höheren Zahlungsbetrag zu erstreiten, als auch die Beklagte, die ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgte.

Der BGH folgte in seiner Entscheidung größtenteils dem OLG Koblenz.
Zu seiner Begründung führte der BGH zunächst aus, dass die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung aus §§ 826, 31 BGB die richtige Anspruchsgrundlage darstelle.
Das Vorgehen der Beklagten sei auf jeden Fall sittenwidrig gewesen, denn es verstieß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen. Die unzulässige Abgaseinrichtung und das damit einhergegangene Vorspiegeln, dass ein Betrieb unter Motorbedingungen dem der Schadstoffklasse 5 entspräche sowie die Tatsache, dass die Software auch bei Tochterunternehmen eingesetzt wurde, würden dies untermauern.
Unproblematisch hätte das Vorgehen der Beklagten entgegen ihrer Ansicht auch zu einer Betriebsuntersagung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen führen können. So war es zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unsicher, ob ein Softwareupdate überhaupt jemals
möglich sein könnte. Ebenso unterlagen die Fahrzeuge tatsächlich nicht den in der Schadstoffklasse 5 geforderten maximalen Stickoxidwerten, sodass auch eine rechtliche Nutzungsuntersagung prinzipiell jederzeit möglich gewesen wäre.
Dies nahm die Beklagte in Kauf, um einen möglichst hohen Geldprofit zu erzielen. Zwar sei dies per se nicht verwerflich, doch durch ihre strategische Unternehmensführung und die arglistige Täuschung brachte die Beklagte hinreichend zum Ausdruck, dass ihr Schäden an
der Umwelt oder Gesundheit anderer gleichgültig waren und sie hierfür sogar über Rechtsvorschriften hinwegzugehen bereit war.
Ebenso befanden sich mögliche Käufer im Gegensatz zur Beklagten in einer rangniedrigeren Position, da sie mangels technischem Fachwissen auf die Richtigkeit der Herstellerangaben angewiesen waren.
Eine Zurechnung des Wissens und Wollens der Leiter ihrer Entwicklungsabteilung und ihrer Vorstände fand gem. § 31 BGB statt. Insbesondere die weltweite Betroffenheit würden für eine Strategieentscheidung der einzelnen Mitglieder sprechen. Sofern die Beklagte dies nicht anerkennen wollte, hätte sie sich vor dem OLG entlasten müssten. Dies hat sie jedoch nicht getan, sie legte nicht einmal ihre Organisationsstrukturen offen. Würde man dem Kläger diese Beweislast aufbürden, so würde man verkennen, dass dieser mangels Einblickes in das Unternehmen dessen Strukturen nicht nachzeichnen könnte und dies im Ergebnis zu einem Verstoß gegen das geschützte Recht auf ein faires Verfahren führen würde. Dementsprechend war die Zurechnung des Vorsatzes gem. § 31 BGB rechtens.
Ein Schaden des Klägers gem. §§ 826, 249 Abs. 1 BGB sei (wie das OLG zutreffend erkannt habe), nicht nur innerhalb der Differenzhypothese zu finden, wonach ein rechnerisches Minus erforderlich sei. Ein Schaden könne sich ebenso durch eine anderweitige Berücksichtigung der Umstände ergeben. Der Zweck des Schadensersatzes sei es vor
allem, den konkreten Nachteil des Betroffenen auszugleichen.
Zwar hat der Kläger vorliegend keinen objektiv werthaltigen Schaden erlitten, da er für die gezahlten 31.490,00 € brutto ein werthaltiges Fahrzeug erhielt. Allerdings könnte ein Schaden dennoch gegeben sein, sofern das Fahrzeug für die Zwecke des Klägers nicht voll brauchbar war. Die Verkehrsanschauung müsste den Vertragsschluss mithin als
unvernünftig und seinen konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und nachteilig ansehen. In Kenntnis der illegalen Abgaseinrichtung hätte der Kläger das Fahrzeug nach Überzeugung des BGH wohl nicht gekauft, da eine Betriebseinschränkung/-untersagung zu
befürchten war. Der Kläger kaufte das Auto gerade mit dem Zweck, es ständig verfügbar zu haben, sodass schon eine zeitweilige Nutzungsuntersagung diesem Zweck nicht mehr gerecht geworden wäre, zumal zu diesem Zeitpunkt nicht klar war, ob eine Nutzungsuntersagung durch ein Softwareupdate hätte behoben werden können.
Insbesondere diene der Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht nur zum Ausgleich nachteiliger Vermögensverhältnisse, sondern umfasse auch die durch sittenwidriges Verhalten begründete ungewollte Verpflichtung. Dies ergebe sich daraus, dass § 826 BGB die allgemeine Handlungsfreiheit sowie das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen schütze. Dadurch, dass der Kläger das Fahrzeug für seine Zwecke nicht voll
gebrauchen konnte, besteht auch hierin ein Schaden.

Ein konkreter Vermögensschaden

Entgegen dem OLG Koblenz nimmt der BGH jedoch nicht nur eine bloße Vermögensgefährdung, sondern einen konkreten Vermögensschaden an. Der Schaden bestehe in dem ungewollt abgeschlossenen Kaufvertrag. Auch die nachträgliche Softwareaktualisierung kann dem nicht entgegenstehen, denn zwar verändert sich hierdurch der objektive Wert des Fahrzeugs, hingegen bleibt es aber bei dem in Kenntnis der tatsächlichen Sachlage nicht gewollten Vertragsschluss. Einen rückwirkend gewollten  Vertragsschluss kann es nicht geben. Der Schaden besteht damit nicht in der möglichen Betriebsuntersagung, sondern vielmehr in dem aufgrund dessen schon gar nicht gewollten Kaufvertrag.
Diesem Schaden sind grundsätzlich alle Folgen seit Vertragsschluss bis zur letzten mündlichen Verhandlung anzurechnen. Dementsprechend sind die durch den Kläger getätigten Nutzungen von dem Schadensersatzanspruch abzuziehen. Durch den Vertragsschluss erlitt der Kläger damit zwar einen Schaden, allerdings zog er auch die Vorteile aus dem Kaufvertrag, wie zum Beispiel die Nutzung des Fahrzeugs. Der Geschädigte darf nun jedoch grundsätzlich nicht besser stehen als er ohne schädigendes
Ereignis stünde, sodass die Nutzungen in Abzug zu bringen sind. Die Schätzung des OLG Koblenz hierzu sei nicht zu beanstanden. Damit besteht im Ergebnis richtigerweise ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 25.616,10 € statt 31.490,00 €.

Der Kläger hat daher zu Recht einen Anspruch auf Schadensersatz bezüglich des gesamten Kaufpreises abzüglich seiner aus dem Kaufvertrag gezogenen Nutzungen Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.